Tiefenseele Podcast

Die Weisheit des Märchens: Brüderchen und Schwesterchen, Teil 1

Johannes Heim @ Hermes Institut Season 1 Episode 4

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Versprechen wir uns nicht alle insgeheim, die tiefgründigen Lektionen und Weisheiten, die in den Märchen unserer Kindheit versteckt sind, eines Tages zu entschlüsseln? Nun, dieses Abenteuer führe ich heute fort, gemeinsam mit meiner Kollegin, der Psychoanalytikerin und Buchautorin Jeanette Fischer, indem wir das bekannte Märchen "Brüderchen und Schwesterchen" analysieren. 

Wir erkunden die komplexe Dynamik zwischen den Charakteren und decken auf, wie die Wahrnehmungen und Handlungen der Kinder stark von ihrer dysfunktionalen Beziehung zur Mutter und der Abwesenheit einer Vaterfigur beeinflusst werden. Wir tauchen in die zeitgenössischen Nuancen der  Interpretation dieser Geschichte ein und stellen einige erstaunliche Befunde fest. 

Begleite uns auf dieser faszinierenden Reise durch die Tiefen der Märchenanalyse und entdecke die verborgenen Weisheiten, die in den Geschichten unserer Kindheit verborgen sind.

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Hast du Anregungen oder Fragen? Möchtest du Feedback geben oder ein Thema vorschlagen?

Dann schreibe mir gerne unter: heim@hermes-institut.com

Johannes Heim:

Hallo und herzlich willkommen zum Tiefenseele Podcast. Mein Name ist Johannes Heim, und heute spreche ich wieder mit meiner lieben Kollegin und Freundin Janett Fischer aus der Schweiz. Hallo, janett.

Jeannette Fischer:

Guten Tag, Johannes. Danke sehr für die Einladung.

Johannes Heim:

Janett, wir haben ja schon mal ein Gespräch geführt über Schneewittchen. Ja, das war eines deiner Lieblingsmärchen, und heute haben wir uns verständigt auf ein weiteres Märchen, und ich finde, diese kulturelle Tradition ja dürfen wir noch ein bisschen weiter leben lassen. Märchen erzählen und besprechen, so ein bisschen im Wechsel. Das hat sich bewährt. Lass uns das doch einfach heute auch so machen. Wir haben uns Brüderchen und Schwesterchen rausgesucht. Möchtest du noch was anmerken oder sagen zu den Märchen vorweg, oder soll man einfach loslegen?

Jeannette Fischer:

Ich schlage vor, wir legen los.

Johannes Heim:

Okay, möchte ich anfangen.

Jeannette Fischer:

Wir können den ersten Abschnitt lesen. Ja, das ist ein.

Jeannette Fischer:

Märchen der Gebrüder, grimm Brüderchen nahm sein Schwesterchen an der Hand und Sprach Seit die Mutter tot ist, haben wir keine gute Stunde mehr. Die Stiefmutter schlägt uns alle Tage, und wenn wir zu ihr kommen, stößt sie uns mit den Füßen fort. Die harten Brotkrusten, die übrig bleiben, sind unsere Speise, und dem Hündlein unter dem Tisch geht es besser. Dem wirft sie doch manchmal einen guten Bissen zu, dass Gott erbarmt. Wenn das unsere Mutter wüsste, komm. Wir wollen miteinander in die weite Welt gehen. Sie gingen den ganzen Tag über Wiesen, felder und Steine, und wenn es regnet, er sprach, das Schwesterchen Gott und unsere Herzen, die Weinen, zusammen. Abends kamen sie in einen großen Wald und waren so müde von Jammer, hunger und dem langen Weg, dass sie sich in einen Hohlenbaum setzen und einschliefen. Das ist der erste Abschnitt.

Johannes Heim:

Genau, machen wir mal den ersten Abschnitt, die Exposition. Wir haben den Ort, die Zeit wissen wir nicht, aber wir haben die handelnden Personen. Ja, soll ich anfangen?

Jeannette Fischer:

Ja gern.

Johannes Heim:

Was mir jetzt allererstes auffällt, ist, dass es eine ziemliche wie sagt man eine Deprivation Situation, würden wir psychologisch sagen. Wir haben eine dysfunktionale Beziehung zur Mutter. Zumindest Der Vater ist gleich gar nicht erwähnt. Vielleicht gibt es ihn auch nicht, weiß man nicht so genau. Der hat anscheinend jedenfalls nichts zu melden, wenn es darum geht, die Kinder, das Brüderchen und das Schwesterchen, durchzubrügeln und sie zu vernachlässigen, ja, selbst was Nahrung angeht. Man kann vielleicht auch ein bisschen spekulieren, ob Armut eine große Rolle spielt, vielleicht in der Familie, so dass es auch nicht genug gibt. Aber das fand ich bemerkenswert, selbst der Hund wird besser behandelt in der Familie, also für den gibt es wohl genug zu fressen.

Johannes Heim:

Das schränkt sozusagen das Armuts Argument wieder ein bisschen ein. Also, es scheint irgendwie genug da zu sein, zumindest so, dass es für die böse Mutter, die Stiefmutter und den Hund reicht. Wir hatten ja bei Schnewittchen auch schon gesagt, dass die Stiefmutter und der negative Aspekt der Mutter oder die vernachlässigende Mutter, dass man das austauschen kann. Ich glaube, das können wir für alle Märchen sagen. Die Stiefmutter entschärft das Ganze wieder, so, als wäre es die richtige Mutter sozusagen, und kann man vielleicht auch ein bisschen aus dem Zeitkontext heraus verstehen. Das hätte sich vielleicht zu Grimmzeiten nicht geziemt, die Mütter so negativ darzustellen. Also nimmt man sozusagen die falsche Mutter. Ich finde aber, das tut dem Ganzen keinen Abbruch. Da kann man trotzdem genauso gut drüber sprechen.

Jeannette Fischer:

Es wird also auch heute noch rezipiert. Die Mutter wird heute noch sehr idealisiert und abgespalten von der sogenannten Stiefmutter. Also, das ist irgendwie geblieben, meines Erachtens zu stark.

Johannes Heim:

Das ist interessant, oder?

Jeannette Fischer:

Die gesamte Abspaltung, dass das böse immer außerhalb von mir ist und nie ein Teil von mir selbst, Also die Spaltungen, die wir ja auch in der Gesellschaft jetzt mitbekommen haben durch dieses Corona-Narrativ. Das ist hier schon auf diese kleine Weise kleine, meine ich im Sinne einer einzigen Person, der guten und der bösen Mutter. Ist das hier schon festgelegt.

Johannes Heim:

Ja, ich verstehe es mal sozusagen. Märchen sind ja archetypische Geschichten. Aus der Perspektive heraus verstehe ich das als die negative Mutter. Das kann auch die leibliche Mutter sein oder so. Aber das Märchen betont hier sozusagen einen ganz negativ getönten Mutterkomplex oder Mutterarchetyp, würde man sagen. Ja, die Todesmutter, würde er ich neun mal das vielleicht nennen sozusagen, die sozusagen das Leben, das sie hervorgebracht hat, wieder erstickt, erwürgt, zurück schluckt, nicht loslässt, und aber hier auch sozusagen diese, die Kargemutter, die das Leben, das sie hervorgebracht hat, auch nicht ernährt, symbolisch. Also, die Kinder sind depriviert, und wir können ja sagen, nicht genug zu essen heißt hier übertragen auch typischerweise für die Psychoanalyse nicht genug oraler Befriedigung. Also da geht es nicht nur um Essen und gefüttert und gestillt werden bei uns Psychoanalytikern, sondern eben auch genügend Liebe bekommen, genügend kuscheln, nähe gesehen werden, wahrgenommen werden, gespiegelt werden, dass sich jemand freut, wenn was von mir kommt als Kind, dass er mir das zurückgebt da bist du ja guck, guck und so weiter. Und das alles fehlt diesem Brüderchen und Schwäßdärchen.

Jeannette Fischer:

Ja, es fehlt und im Gegensatz dazu, was sie erfahren, sind eigentlich sadistische Handlungen. Also, die.

Jeannette Fischer:

Mutter gewählt, die Mutter gewählt die Kinder mit Liebesentzug, mit Nahrungsentzug, und das nennen wir ja in der Psychoanalyse auch eine sadistische Beziehungsstruktur. Was auch noch auffällt, ist, dass der Bub den Vorschlag macht, in die weite Welt zu gehen. Also er macht den Vorschlag, sich abzulösen aus diesem Elternhaus oder sich von dieser Stiefmutter zu entfernen. Also er ist quasi der Antrieb, raus zu gehen aus diesen, sich in Beziehungsstrukturen, und das Schwesterchen sagt dann, wenn es regnet, gott und unsere Herzen, die Weinen zusammen. Also sie macht hier wieder, in meinen Augen macht sie hier wieder so wie einen symbiotischen Zusammenschluss. Einerseits, sie holt noch den Gott rein, und sie macht da so einen symbiotischen Fürsorglichen Zusammenschluss. Also, der Bub geht raus in die Welt, sie geht natürlich mit, aber sie verbindet immer wieder mit Gott und quasi dem menschlichen Wesen. Das finde ich noch interessant, dass eben auch in die weite Welt gehen, auch aus einer Triebhaftigkeit an, also interpretieren, dann macht sie aus dieser Triebhaftigkeit eine Kontrolle.

Johannes Heim:

Ah, interessant. Also, du hast sozusagen ein bisschen die kritische Perspektive auf das Mädchen. Das finde ich jetzt spannend. Ich habe so ein bisschen gedacht naja, also, der Sohn macht einen so auf, ja, ich gehe in die Welt, und wenn die Mutter mich nicht will, und wenn die Mutter mich nicht mag, dann bin ich halt raus. Aber erst auch derjenige, den das ganz schnell wieder einholt. Ja, wir werden gleich weiter sehen werden im Märchen. Ich habe so ein bisschen gedacht, vom symbolischen Her, wenn ich jetzt quasi den lieben Gott mal, als was Vater Archetypisches nehme, ja, geistig väterlich, vater Archetypisch, dann holt sie in diese schreckliche Mutterbeziehung noch was Männliches mit rein. Und sie scheint aus meiner Perspektive jetzt wiederum ja, hat ja zwei Seiten. Vielleicht aus meiner Perspektive hatte ich jetzt gedacht naja, gut, okay, aber sie ist zumindest mit der Trauer darüber, dass diese Mutterbeziehung so verdammt, nochmal miserabel ist, ist sie zumindest bewusst beschäftigt, während der Junge sagt beschäftige mich nicht, geh in die Welt. Das war so ein bisschen meine Deut, ja, unterschiedliche.

Jeannette Fischer:

Den Kindern.

Johannes Heim:

Das kann ja beides zusammenpassen. tatsächlich, Die haben ja zwei Seiten jeweils auch. Und vielleicht werden diese Kinder durch ihre biografischen Erfahrungen an unterschiedlichen Punkten auch wieder überfallen und eingeholt, weil ihr habt ja beide sozusagen ja nicht so eine runde Entwicklung im Märchen, wenn wir so sagen dürfen.

Johannes Heim:

Ja, Okay, ich lese mal weiter vor Am anderen Morgen, als sie aufwachten, stand die Sonne schon hoch am Himmel und schien heiß in den Baum hinein. Da sprach das Brüderchen Schwesterchen, mich dürstet, wenn ich ein Bründlein wüsste, so ging ich und tränk einmal. Ich mein, ich hörte eines Rauschen. Brüderchen stand auf, nahm Schwesterchen an der Hand, und sie wollten das Bründlein suchen. Die böse Stiefmutter aber war eine Hexe und hatte wohl gesehen, wie die beiden Kinder fortgegangen waren, war ihnen nachgeschlichen, heimlich wie die Hexenschleichen und hatte alle Brunnen im Walde verwünscht. Als sie nun ein Bründlein fanden, das so glitzerig über die Steine sprang, wollte das Brüderchen daraus trinken.

Johannes Heim:

Aber das Schwesterchen hörte, wie es im Rauschen sprach wer aus mir trinkt, wird ein Tiger, wer aus mir trinkt, wird ein Tiger. Da rief das Schwesterchen ich bitte nicht. ich bitte dich, brüderlein, trinkt nicht, sonst wirst du ein wildes Tier und zerreißest mich. Das Brüderchen trankt nicht, ob es gleich so großen Durst hatte, und sprach ich will warten bis zur nächsten Quelle. Als sie zum zweiten Bründlein kamen, hörte das Schwesterchen, wie auch dieses sprach wer aus mir trinkt, wird ein Wolf, wer aus mir trinkt, wird ein Wolf. Da rief das Schwesterchen Brüderchen, ich bitte dich, trinkt nicht, sonst wirst du ein Wolf und frissest mich.

Johannes Heim:

Das Brüderchen trankt nicht und sprach ich will warten bis zur nächsten Quelle, bis wir zur nächsten Quelle kommen, aber dann muss ich trinken. du magst sagen, was du willst, mein Durst ist gar zu groß. Und als sie zum dritten Bründlein kamen, hörte das Schwesterlein, wie es im Rauschen sprach wer aus mir trinkt, wird ein Reh, wer aus mir trinkt, wird ein Reh. Das Schwesterchen sprach ach Brüderchen, ich bitte dich, trinkt nicht, sonst wirst du ein Reh und läufst mir fort. Aber das Brüderchen hatte sich gleich beim Bründlein niedergekniet, hinabgebäugt und von dem Wasser getrunken, und wie die ersten Tropfen auf seine Lippen gekommen waren, lag es da als ein Rehkälbchen. Das ist jetzt interessant.

Jeannette Fischer:

Ich finde einmal die Tiere finde ich in der Abfolge interessant, also zB der Tiger, dann wird das mit dem Zereisen in Verbindung gebracht. Also dann, wenn er ein Tiger wird, dann zerreißt er das Schwästerchen, dann wird er ein Wolf, und er frisst das Schwästerchen, und dann wird er ein Reh, und er läuft ihr fort, also macht sich unabhängig von ihr. Also das sieht man. Also ich nehme an, dass der Wolf und das Reh gängig war zu Grimszeiten, aber dass der Tiger doch ein exotisches Tier war, also dass man den Tiger wohl nicht kannte. Also, ich finde diese Abfolge sehr interessant, und auch also das Schwästerchen scheint kein Durst zu haben. Das finde ich. Sie redet nicht von Durst. Also das wieder. Für mich ist das immer wieder diese Triebkontrolle. Also sie beschwichtigt ihn, sie ist vernünftiger, sie weiß es besser, sie hört diese Stimmen, die hört er nicht, er erraßt er einfach auf seine Triebhaftigkeit und auf seinem Bedürfnis nach trinken. Auf dieser Welle erraßt er los, oder, und sie beschwichtigt ihn und holt ihn zurück. Also eine Form wieder wie vorher, diese Triebkontrolle. Also das ist so mein erster Eindruck.

Johannes Heim:

Das ist spannend, weil diese beiden Kinder teilen sich auch ein Stück weit auf, so zwischen Introversion und Extraversion, das sozusagen, der geht raus, der ist impulsiv und so weiter, und sie ihr introvertiert, verinnerlichend, nach innen gerichtet, erst mal langsam machen, bremsen, und sind so zwei verschiedene Temperamente, die in diesen beiden Geschwistern zusammenkommen. Die ergänzen sich dadurch auch so ein bisschen symbiotisch vielleicht, wenn man es kritisch sehen will, oder sie ergänzen sich halt einfach gut. Ich fand die Tiere auch total spannend, und Jeanette, ich habe mich gefragt könnte es sein, dass so drei Muster sind bei diesem Jungen, wie sich solche, ich sage mal, mütterliche Deprivation oder auch so eine ganz negative Mutterbeziehung auch im späteren Leben auswirken könnten? Ich denke so ein bisschen auch an verschiedene Familienkonstellationen und Patienten, die ich hatte, Und ich könnte mir vorstellen, der Tiger ist sozusagen die rein impulsiv aggressive Reaktion, also du zerreißest mich.

Johannes Heim:

Also jemand, der sozusagen von der Mutter so traumatisiert wurde, könnte selber zum Täter werden, der impulsiv aggressiv, sozusagen, wenn er in Bedrohungsgefühl gerät, einfach mörderische Aggression entfaltet und nicht zu bremsen ist. So diagnostisch vielleicht zur Richtung Borderline Männer das sind ja sozusagen die jenigen psychischen Störungen, die im Gefängnis auch im häufigsten vertreten sind, meistens wegen Gewalt ausbrüchen. Dann hätten wir den Wolf, aber da geht es ums Fressen. Und der Wolf ist auch kein Einzelgänger, er ist ein Sozialist, der in Rudeln jagt. Das finde ich spannend.

Johannes Heim:

Also das ist eine andere Form, aber einer, der sozusagen sich ernährt von den anderen, so ein bisschen was Soziopathisches vielleicht Der sozusagen seine Beziehung nur auf die Bedürfnisse seiner eigenen Oralenbedürfnisse ausrichtet oder andere Menschen instrumentalisiert. Ich habe es jetzt einfach mal so vom Gefühl her so gedeutet. Und das Reh ist die dritte Lösung, so ein bisschen die depressive Version, beziehungsweise die Angst, die die Schwester hat, die richtet sich darauf, dass es reweckläuft. Also man könnte auch sagen, so eine Überbetonung von Autonomie. Und ich denke so an Patienten, die so eine ganz negative Muttererfahrung hatten, vielleicht auch mit einer psychotisch erkrankten Mutter, denen sagen, ich brauche keine Beziehung, ich will bloß nie was mit einer Frau zu tun haben, ich will frei sein, und die können mir alle gestohlen bleiben, männer wie Frauen.

Johannes Heim:

Mit Beziehung will ich nichts zu schaffen haben, ich richte mich rein auf die Objektwelt, also die materielle Objektwelt, und auf Wissen und auf Kompetenzen und bin sozusagen nur auf mich selbst, kann ich mich verlassen. Das wäre so ein bisschen für mich das Reh Im Weg springen, aber gleichzeitig ein Reh auch in so einer totalen Aggressionshemmung, und das finde ich im Kontrast gut. Man kann sozusagen traumatisiert werden, in dem Fall durch die Mutter. Man könnte aggressiv werden, entweder sozusagen wir würden sagen, vielleicht anal aggressiv, also rein impulsiv kaputt machen. Wir könnten so oral aggressiv werden, andere sozusagen aussaugen und alles nehmen, was man kriegen kann, oder in so eine Überbetonung von von, von Autonomie und Aggressionshemmung gehen, unabhängig, so zu sagen, also diese von der Bindung her, so die unsichervermeidende Bindung. Ich will bloß nichts mit anderen, es ist mir viel zu gefährlich, ich kann mich nur auf mich selber verlassen. Ja, ich zieh mich zurück. Was meinst du dazu?

Jeannette Fischer:

Ja, das finde ich wahnsinnig spannend. Auf diese Ideen werde ich gar nicht gekommen. Ich sehe das alles dann ziemlich schnell so Du es in die Triebkategorie rein, und das finde ich interessant. Also das wäre beim Reh so eine Art eine narzistische Abwehr Also gleichzeitig. Also dieses Reh explodiert quasi narzistisch, ich will weg später im Märchen sehen wir das auch. Oder es will raus und autonom und alleine, und ich schaffe das, und gleichzeitig ist es hochzerbrechlich. Also es ist von allen drei Tieren das das zerbrechlichste Tier, und das ist kein Raubtier. Der Wolf ist ein Raubtier, der Tiger ist ein Raubtier, und das Reh frisst ja Gras, also ist so sanftmütig. Und doch also das finde ich eben gut an deiner Erläuterung, dass also diese quasi diese Verwundbarkeit des Rehs, das Wiese frisst und nicht andere Tiere, diese Verwundbarkeit, dass die in diesem narzistischen eigentlich drin steckt. Oder wir haben immer wir assoziere, wenn wir einen narzistischen, also einen Menschen als Narzisst bezeichnen, assoziere wir sicher eher einen Tiger und einen Wolf als ein Reh. Aber die narzistische Persönlichkeit ist innerlich ein Reh, oder also zerbrechlich, wunderabel, was auch immer, und im höchsten Maße auch aggressionsgehemmt, wie du das gesagt hast. Da gehe ich mit dir einig.

Jeannette Fischer:

Mit dem Tiger, das finde ich auch gut. Wie du das erklärt hast, finde ich sehr interessant. Dieses Erzerreißen der Tiger zerreißt, also da habe ich mir so vorgestellt. Also da liegt an dieses Kind zerrissen da und fragmentiert. Also dann könnte das mit fragmentieren finden, und also fragmentiert ist zum Beispiel jemand, der in der Psychose tschuldigung, ich muss schnell das trinken Also man ist innerlich zerrissen, dann ist man fragmentiert. Man kann sich das würde jetzt so in deiner Theorie passen, und da kann man sich jetzt zum Beispiel in der Psychose, kann man sich eine Halluzination aneignen, um diese Fragmentierung einen Namen zu geben oder um diese Fragmentierung einzubinden oder einzuraumen und aushaltbar zu machen. Also finde ich ganz interessant. Was entwickelt das sehr?

Johannes Heim:

Ich finde es auch spannend, weil du bringst mich gerade auf den Gedanken. Du hast ja auch gerade ein Buch über Nazismus veröffentlicht, ein großes Werk. Da würde ich dich gerne fragen könnte man nicht sagen, dass diese Junge sozusagen wirklich hauptsächlich diese Wunde im Selbstwert hat durch diese Deprivation in der Mutterbeziehung, und da würden wir jetzt psychanalytisch sagen, der ist nazistisch. Und da gibt es ja auch in der Schulpsychologie zunehmend die Unterscheidung, wenn ich das richtig mitbekomme, dass man sagt, es gibt sozusagen diese Raubtier-Nazisten, das, was auch in YouTube-Videos zu tausenden irgendwie immer gesagt wird dein Chef, der Nazist usw.

Johannes Heim:

Der ist ganz blöd zu dir und böse, da regen sich die Leute drüber auf, weil die sich so blöd verhalten. Das stimmt auch. Und dann gibt es aber noch den zurückgezogenen Nazisten, der sozusagen so ein bisschen, vielleicht sozusagen ja jemand wie ein verkantes Genie, der sozusagen darunter leidet, dass er die Anerkennung nicht bekommt und den Hass auf die Welt hat, aber er zeigt das niemandem, sondern er zieht sich zurück von der Welt. Diese beiden Fragen Wie siehst du das in deinem Verständnis? Würdest du auch sagen, es gibt solche Ausdrucksformen, solche verschiedenen.

Jeannette Fischer:

Ich glaube schon, dass es diese gibt. Das bringt mich aber eher auf die Idee zu sagen, dass in einem Nazisten oder in einem Nazisten, um da auch gendergerecht zu bleiben, alle drei vorhanden sind, dass sich aber die äußeren sich unterschiedlich, oder Wie du dann das sagst, oder. Aber ich gehe davon aus, dass alle drei diese Qualitäten in sich tragen, auch dieses Reh haben, und das wird ein bisschen unter den Teppich gewischt, weil man den Nazisten Männer wie Frauen, erden, wolf und den Tiger dann unterstellt und außer Acht lässt, dass da drin, also nicht um die zu entschuldigen, aber einfach um das zu verstehen, dass dieses Reh da drin ist, oder und auch im Gesamten, dass diese Bindungslosigkeit auch wie soll ich sagen über diese Tiere da in diese Märchen festgehalten werden, und dass die Bindung nicht über eine Verführung oder über das Begehren stattfinden kann, sondern über die Destruktion. Also, man muss, der Tiger zerreißt, also das Begehren ist quasi destruktiv. er zerreißt, der Wolf rießt, und das Reh läuft weg.

Johannes Heim:

Da muss ich dich jetzt zitieren. Ja, das ist mir immer hängen geblieben aus den Gesprächen mit dir. Das ist doch die Auslöschung der Differenz. Ja, Die Nazistische. Ja. Der Tiger zerreißt, der zerstört den Beziehungspartner, so zwang macht ihn weg, der Wolf verleibt ihn sich ein, und das Reh haut ihm ab in allen drei Situationen. Das ist sozusagen die Partnerin, der Partner, die gelackt meierte. Ja, der Nazist ist weh. Also, entweder ist man selber weg, oder der Nazist ist weg. Was bleibt nie? da sind wir beide, und wir haben eine Beziehung.

Jeannette Fischer:

Ja, das ist wunderbar rausgedrückt. Ja, da bin ich mit dir. Da bin ich mit dir, wenn du mich zitierst.

Johannes Heim:

Ja, Gott sei Dank. Ja, das werde ich jetzt gewonnen. Ich habe raffiniert eingefädelt von mir Eine Sache, die mir noch aufgefallen ist. Ich finde es auch spannend. Natürlich ist die Stiefmutter eine Hexe, ist ja klar. Ja, Das betont für mich nochmal den negativen Mutterarchetyp, ja, die zerstörende Mutter, die Hexe, die verfluchende. Aber es hat auch was, finde ich, was wir ja auch in den Biografien von Menschen, von Patienten so immer wieder finden. Man kann sich zwar dann von zu Hause abwenden und versuchen, sich von anderen Brünnleinen zu ernähren, Aber irgendwie sind sie alle vergiftet, Solange man das sozusagen Thema, das einen so geprägt hat, in der Kindheit nicht gelöst hat. Man kann also überall in die ganze Welt rausgehen, man nimmt den ganzen Scheiß mit pardon, my French den man erlebt hat, Und ja, dann ist alles toll. Ein Brünnlein, Und im nächsten Moment ist dieses verdammte Ding schon wieder vergiftet, Und ich kann mich demnächst ein Brünnlein zuwenden.

Jeannette Fischer:

Das finde ich super, Das finde ich wahnsinnig. eine gute Deutung gefällt mir sehr.

Johannes Heim:

Ja, also, das ist doch auch eine unheimliche Weisheit, auch in diesen Märchen, dass es offensichtlich auf einer ganz tiefen bilderften Ebene versteht, dass wir aus unserer Haut nicht raus können. Wir können den Schatten unserer Vergangenheit nicht einfach abhauen, selbst als Renicht.

Jeannette Fischer:

Ja, ja, das stimmt, da bin ich mit dir völlig eine finde ich eine super Deutung, was ich ich möchte wieder ein bisschen meinen Trieb da reinbringen als Deutung, was dem unterliegt, ja, durst. Also Durst können wir als Liebhaftigkeit, dann auch als Begehung übersetzen, und der Durst ist der Grundtuktus da, und der muss ja irgendwie auch befriedigt werden. Und da ist der Bub, das Brüderchen versucht immer wieder, diesen Durst zu befriedigen, und das Mädchen hat den Durst nicht. Also nicht, das hab ich. Das finde ich verrückt, Warum. Und das Mädchen ist dann die Triebkontrolle Also, die sagt du darfst deinen Durst jetzt nicht löschen, und beim zweiten Brühnchen auch du darfst den Brüderch jetzt nicht löschen, und wenn du diesen Durst löscht, dann läufst du von mir weg.

Jeannette Fischer:

Das stimmt, dann geht natürlich dieses Brüderchen aus dieser incestuösen Bindung raus und interessiert sich dann weiter für andere Zeitgenossen oder für andere Objekte seines Begehrens.

Johannes Heim:

Ah, das ist jetzt spannend. Also, das wird ja immer besser. Das ist eigentlich eine. Erst zwei Abschnitte gelesen, weil mir fällt dazu ein, dass dann das Brüderchen aber trotzdem die Entwicklung in den Märchen anstößt, und auch da ist ja vielleicht auch eine instinktafte Weisheit drin, dass er sagt irgendwann muss ich trinken. Also, meine Bedürfnisse sind nicht komplett weg, tut mir leid, komm was wolle, ich habe zumindest noch das Bedürfnis, meinen Trieb zu spüren und ihn auch zu befriedigen. Ich übersetze es auch mal Also, ich habe zumindest noch die Sehnsucht, zum Beispiel vielleicht mal eine Partnerin oder ein Partner zu finden, wenn wir das jetzt mal übertragen auf einen Menschen. Also, das gebe ich nicht auf. Es gibt ja aber auch die andere Lösung, die das Mädchen anbietet. Ja, ich habe diese Bedürfnisse, Hab ich gar nicht Leid.

Jeannette Fischer:

Ja, Genau, und das kennen wir ja auch aus der großen Geschichte. Also seit wann ist es möglich, dass die Frau ein eigenes Begehren haben darf? Ich glaube, das ist noch nicht so alt, oder es war vielleicht, früher waren wir besser dran, und das weiß ich nicht. Und es wurde während der Geschichte, dann wurden wir quasi beenttrieb, und dann kommt es über die Frauenbewegung wieder, also dass man doch nicht nur die Triebkontrolle verkörpert, sondern auch das Begehren.

Johannes Heim:

Ja tatsächlich, ich sehe es ein bisschen so, dass wir eigentlich aus einer Position der Triebunterwerfung kommen, wo wir sozusagen mit dem Ich den Triebenunterworfen waren Wir kennen das als die Leidenschaften in der griechischen Antike und so weiter oder die Daimonais, die uns einfach dazu bringen konnten, dies oder jenes zu tun, meist ja auch ohne unser eigenes Zutun, dass diese Schicksalhaftigkeit Und ich glaube schon, dass wir es gibt ja wieder auch Schilderungen, wie triebhaft das zugingen also auch durchaus an bestimmten Orten des Mittelalters oder auch der Renaissance und der Neuzeit, und dass das eher sozusagen der intellektuelle Anspruch war, endlich den Triebunterkontrolle zu bringen.

Johannes Heim:

Und dann haben wir sozusagen im Umfeld der Aufklärung oder ungefähr in dieser Zeit haben wir vielleicht wirklich so eine Wahnsinns-Triebunterdrückung. Das ist quasi die Phase der totalen Rationalität. Jetzt geht es gerade wieder ins Gegenteil, habe ich manchmal das Gefühl. Es gibt ja auch aktuell also immer wieder Schilderungen von Kindern, die auf sadistischste Weise zu mördern werden. Das ist ja auch etwas unglaublich triebhaft. Das muss das ja sein, also wo es überhaupt gar keine Triebkontrolle mehr gibt, also dass es irgendwie so eine Pendelbewegung vielleicht in der Geschichte, wo es so hin und her geht.

Jeannette Fischer:

Ja, ich weiß auch nicht das läuft mir ein, was du sagst. Ich weiß einfach auch nicht, seit wann der Trieb eigentlich schlecht, als schlecht, etwas schlechtes assoziiert wird. Trieb heißt ja, trieb ist ja auch was nicht gesellschaftskonform, er hält sich nicht an Konventionen, er ist versiv, jetzt in einem positiven Sinn Um eines erachtens wird der Trieb erst pervers, also indem wir zu mördern werden oder Soldaten, oder Soldaten sind ja nichts anderes, als sie haben den Befehl und die Legitimation, zu töten, also die Triebhaftigkeit. Ich gehe nicht von einem Tötungstrieb aus. Also, wir gehen immer davon aus, dass Triebhaftigkeit und Unordnung und Chaos und Gewalt das zusammen gesehen wird, und das verstehe ich nicht. Also in meinen Augen stimmt das gar nicht. Hat das nur etwas mit einem Machtdiskurs zu tun? Das ist interessant.

Johannes Heim:

Es ist ein bisschen die postmoderne Deutung, der Machtdiskurs Du weißt ja, dass ich dem nicht anhänge Ja, und ich bin nicht sicher, ich glaube schon. Wir sehen das ja jetzt nicht nur in der westeuropäischen Kultur, sondern weltweit Das versucht wird, dem Trieb irgendeinen Rahmen zu geben, um ihn in Bahnen zu lenken, und ich denke schon, dass Freud recht hatte. Jetzt komme ich dir mal mit freund Wenn wir sozusagen das Triebpferd auch reiten müssen, und wenn man mal geritten ist, dann weiß man, man braucht eine sehr lebendige Beziehung zum Pferd, aber auch eine Durchsetzungsfähigkeit, damit das überhaupt irgendetwas tut, was man will. Man kann es aber auch nicht zwingen, man kann es nicht gewaltsamen, und das ist, finde ich, eine eigene feine Beschreibung für die Balance, die aus meiner Perspektive den Trieben gegenüber gebraucht wird. Wenn wir die Zügel schießen lassen, gibt es auch überschießende Reaktionen.

Johannes Heim:

Also, das größte Aggressionspotenzial haben Dreijährige, die haben schon den vollentwickelten Trieb, aber noch wenig ich, um diesen Trieb zu lenken. Und je körperlich sozusagen potenter sozusagen die jungen Menschen werden, wo sie richtig viel Schaden anrichten könnten, dass sie mehr Triebkontrolle oder sagen wir mal zumindest eine Beziehung dazu, ein Lenken in Bahnen ist notwendig, und natürlich gibt es dann überschießende Reaktionen. Man kann zu viel oder zu wenig Kontrolle ausüben. Das wäre so ein bisschen meine Perspektive, so eine Art Balance, aber ich persönlich bin nicht davon überzeugt, dass das alles sozusagen politisch übermacht geschieht. Das wird genutzt, da würde ich dir zustimmen, aber es kann auch ein Schaden sein, die Triebe schießen zu lassen.

Jeannette Fischer:

Ja, ja, ja. Ich meine das nicht als politischer, nicht nur als politischer Herrschaftsdiskuss. Ich gehe davon aus, dass der Trieb ja über das du dann reguliert und relativiert wird Und nicht im Sinne von Märchen. Das Schwesterchen ist nämlich in dem Sinn übergriffig auf den Bruder, weil sie sagt du darfst hier jetzt nicht trinken, das ist giftig. Wir können das auch als übergriff, übergreifende Triebkontrolle von ihm deuten, und das meine ich, das ist eigentlich das Verhängnis. Sie könnte höchstens sagen also, ich trinke nicht, weil es scheint gefährlich zu sein, und du kannst machen, was du willst, aber diese Kontrolle über den anderen, das finde ich das Verheerende, weil die Triebhaftigkeit wird über das du so oder so reguliert.

Johannes Heim:

Das ist spannend. Wir könnten vielleicht aber auch, wenn wir mal eine Landse für die Gretel wollte ich gerade sagen, für das Mädchen, für das Schwesterchen könnten auch sagen sie bleibt hier im Persönlichen. Sie sagt nicht, das macht man nicht, Das ist giftig, pfoten weg. Sie sagt meine Angst ist, wenn du aus dieser Quelle trinkst, sie hat eine Intuition, dann frisst du oder zerreißt du mich.

Johannes Heim:

Wenn du aus dieser Quelle trinkst. Also die Angst ist, dass sie natürlich kann man sagen warum hat sie so viel Angst, dass sie das Beziehungsobjekt verliert? im Brüderchen, Das würde ich auch sehen, das ist ein bisschen das Symbiotische. Aber sie schützt sich auch vor der Gefahr oder vor der Verletzung, vielleicht zurecht, weil er verwandelt sich ja auch Müsmusik.

Jeannette Fischer:

Ja, aber in ein Reh, nicht in ein.

Johannes Heim:

Ja, gott sei Dank, das ist immer noch die beste Option. Ja, ja, weil der Rückzug, der trennt uns zwar von den Menschen ab, aber bei vernichtet das Objekt nicht. Ja, gut Das heißt, wir können aus dem Rückzug jederzeit raus. Wenn wir das Objekt zerrissen oder gefressen haben, ist es weg. Dann können wir nicht mehr zurück. Wir können es weder ausspucken noch wieder zusammenbauen.

Jeannette Fischer:

Gut, ja, aber der Inzest ist letztendlich nicht aufgelöst.

Johannes Heim:

Nee, das stimmt, da gebe ich dir recht. Ja, sehe ich auch so, aber da muss es hin.

Jeannette Fischer:

ne, sie ist ja ein zartes Mädchen, oder? Also so kommt sie rüber, wenigstens bei mir. Ein zartes, unschuldiges, gut meines fürsorgliches Mädchen, das kein Durst hat, also keine inzestößen, fantasien hat. Und diese Position als zerbrechliches Wesen, diese Position erst macht den Tiger, dass er so gefährlich ist, und der Wolf, dass er zertzerstörerisch ist, das macht ja nur die Position des Mädchens, die Opfer wirkt von diesem Tiger und diesem Wolf. Also in dem Sinne sind sie in einem. also zeigt für mich dieses Mädchen eine Machtstrukturen Da ist der Mächtige und da ist die Ohnmächtige.

Johannes Heim:

Ja, und in gewisser Weise ist sie auch, vielleicht sogar die Beschädigter aus dieser Kindheitserfahrung, weil der Bruder geht ja noch irgendwie ins Leben, der will noch was, ne, und sie geht in die Bedürfnislosigkeit und in den, also eigentlich in Die, sitzt am Ufer des Flusses des Lebens und guckt zu.

Jeannette Fischer:

Aber sie geht mit.

Johannes Heim:

Ja, wenigstens ja, es könnte noch schlimmer sein.

Jeannette Fischer:

Nein, wenigstens Sie schiebt ihn vor.

Johannes Heim:

Ja, okay, aber vielleicht hat sie die schwerere Aufgabe zu lösen, oder Könnte das sein, weil also sozusagen, wir müssen, glaube ich, weiterlesen im Märchen.

Jeannette Fischer:

Vielleicht klärt sich das dann. Ich bin mit ihr nicht so nett. Ich gehe mit ihr ein bisschen strenger ins Leben.

Johannes Heim:

Ja, das stimmt.

Jeannette Fischer:

Ich sage ja, sie geht ja dann mit. Das ist seine Idee. Sie geht mit in seinen Schatten, kann sie quasi schalten und walten, wie sie will. Er wird der Verantwortliche bleiben, und er wird dann auch der Schuldige sein oder der Böse, oder.

Johannes Heim:

Ja, aber nur in der Hälfte des Märchens, weil danach spielt da keine Rolle mehr, oder?

Jeannette Fischer:

Ja, genau, genau.

Johannes Heim:

Also, das ist aber die Ausgangssituation, stimmt? Also finde ich auch. Ist sie wirklich komplett inaktiv? Außer dass sie dem Bruder sozusagen versucht zu verhindern, dass der sie auch noch entwickelt, bleibt bei mir im Nichts.

Jeannette Fischer:

Ja ja.

Johannes Heim:

Das war wahr. Magst du weiter vorlesen.

Jeannette Fischer:

Ja gerne. Nun meinte das Schwesterchen über das arme verwünschte Brüderchen. Und das Rechen meinte auch und sah so traurig neben ihm. Da sprach das Märchen endlich sei still, liebes Rechen, ich will dich ja nicht mehr mehr verlassen. Dann band es ein goldenes Strufband ab, tat es dem Rechen um den Hals und rupfte Pinzen und flochte ein weiches Seil daraus. Daran band es das Tierchen und führte es weiter und ging immer tiefer in den Wald hinein.

Jeannette Fischer:

Und als sie lange, lange gegangen waren, kamen sie endlich an ein kleines Haus, und das Märchen schaute hinein, und weil es leer war, dachte es, hier können wir bleiben und wohnen. Da suchte es dem Rechen Laub und Mos zu einem weichen Lager, und jeden Morgen ging es aus und sammerte sich Wurzeln, beeren und Nüsse, und für das Rechen brachte es zartes Gras mit. Das Fras ist ihm aus der Hand, war vergnügt und spielte vor ihm herum. Abends, wenn Schwesterchen müde war und sein Gebet gesagt hatte, legte es seinen Kopf auf den Rücken des Rähkälbchens. Das war sein Kissen, darauf sanft es einschlief, und hätte das Brüterchen nur seine menschliche Gesteld gehabt, es wäre ein herrliches Leben gewesen.

Johannes Heim:

Ja ich muss so lachen innerlich, weil ich schon mir denken kann, ich würde das findest.

Jeannette Fischer:

Ja, was, nur etwas ganz Kurzes. ich glaube deine erste Frage kommen Sie aus armen oder reichen Verhältnissen? Ich glaube, Sie sind aus reichen Verhältnissen, weil Sie ein goldenes Strumpfband haben.

Johannes Heim:

Stimmt. Ja, das habe ich jetzt gar nicht damit in Verbindung gebracht. Das ist ein guter Hinweis. Na klar, wo soll denn ein goldenes Strumpfband herhaben? Ja, also, wenn man jetzt das Märchen beenden würde, es hätte ein tolles Leben sein können. Also, anscheinend weiß das Märchen selber auch, dass das unerträglich, ätzend ist. Diese Lösung Ja auch.

Johannes Heim:

Also das stärkste Bild finde ich nicht nur das Fesseln ja mit dem goldenen Strumpfbändchen, sondern auch erlegte es seinen Köpfchen darauf das und war ein weiches Kissen für das Mädchen. Also, die sind miteinander in so einer ganz symbiotischen Regression, werden wir Psychonäutisch vielleicht sagen, also die Totalregression. Die greifen auf ein ganz früh kindliches Entwicklungsmuster zurück das bedeutet der Begriff und stellen sich ihren Entwicklungsaufgaben so auch überhaupt nicht. Und das Mädchen insofern ist, finde ich schon, ist gewissermaßen die durch ihre biografischen Erfahrungen beschädigter oder pathologischer. Da könnte man auch überlegen, sozusagen für wen ist das schlimmer, auch geschlechterspezifisch, wenn die Mutter so sadistisch vernichtende ist.

Johannes Heim:

Der Junge kriegt die narzistische Störung, aber der kommt noch irgendwie in die Triebe und ins Leben anscheinend. Aber das Mädchen wird ja komplett ausgeschaltet, erstmal, das ist versucht, sich nur noch auf irgendeinem Objekt zu stützen, vielleicht auch in so einer totalen Abhängigkeit. Das erinnert mich tatsächlich an manche Patientinnen, die ich hatte, die sich in so einer, sie ist sich in totaler Abhängigkeitsbeziehungen begeben, und wo also die eigene Entwicklung gar nicht stattfindet. Also jetzt finde ich es auch nicht mehr so schön, aber auch das Fessel, der andere darf sich dann aber auch nicht entwickeln.

Johannes Heim:

Da kann man fast sagen, diese Verstrickung ist wie das, was wir in der psychodynamischen Psychotherapeutik als Kollusion bezeichnen, fast schon so ein Schlüssel-Schloss-Prinzip, wo einer so die progressivere Position übernimmt, also der Junge, der geht wenigstens noch raus in die Welt und will was, und das Mädchen übernimmt die rekorressive Position, geht ganz nach innen, nur noch Grundbedürfnisse versorgen und kuscheln, und das war es, und das ist so ein bisschen Schlüssel und Schloss und verhindert aber bei beiden die Entwicklung. Das ist bei Paarbeziehungen dann auch so, wenn die sich sozusagen so aufeinander abstimmen, dass ein geschlossenes System entsteht. Ja, die beiden Partner, und einer ist ganz rekresiv, und der andere muss irgendwie immer den progressiven Part übernehmen, das ertragen auf Dauer beide nicht, weil Bedürfnisse unbefriedigt bleiben weil wir beides haben.

Johannes Heim:

Ja.

Jeannette Fischer:

Ja, sehr schön, sehr schön. Ich sehe noch zusätzlich auch diesen sadistischen Anteil des Mädchens. Also sie schläft jetzt auf dem Rücken des Reh-Kälbschens ein, und sie nutzt ja seine Importanz, um sich näher zu stellen, nähe, sicherheit, aufgehobenheit, oder das Reh-Kälbchen ist ja im Gegensatz zu einem Brüttchen, zu einem Buben ist das ja jetzt völlig impotent, und es wird zum Objekt des Schwesterchens. Also das Schwesterchen wäre ganz glücklich. Jetzt, ich glaube, das Schwesterchen wäre ganz glücklich, wenn das immer fort so weitergehen würde.

Johannes Heim:

Das ist nicht spannend.

Jeannette Fischer:

Das ist ja eine sehr gute Frage weil ich gerade sie über mich selber rollen wie die Stiefmutter.

Johannes Heim:

Ah ja, okay, Also dass Mädchen geht dann sozusagen, identifiziert sich mit der Stiefmutter. Ich habe noch daran gedacht, gerade wenn das keine Geschwister wären. Man sagt ja auch manchmal na ja, wie geht es euch gerade als Paar und so. Na ja, wir leben wie Bruder und Schwester zusammen, vor allem irgendwie so in der Zeit, nachdem ein Kind geboren wurde, oder so was. Wir kommen gar nicht mehr in die Paarbeziehung, sind nur noch Eltern und so. Da hört man das manchmal so als Spruch, aber hier wäre es vielleicht wirklich so. Dann gibt es sozusagen, es gibt die genitale Beziehung nicht mehr. Wenn das jetzt ein Paar wäre und kein Geschwisterpaar, dann gäbe es vielleicht irgendwie nur noch Kuscheln und Grundbedürfnisse miteinander versorgen und den Alltag managen, aber kein Begehren mehr, keine Sexualität, keine Aufregung, keine Anziehung, sondern das ist alles sozusagen ganz in einem harmonischen Einheitsbrei betäubt.

Jeannette Fischer:

Ja, ja, das sehe ich auch so, Und hier wird natürlich damit mit diesem Reh der Inzest abgewehrt. Also, der Inzest zwischen Geschwistern kann hier nicht mehr vollzogen werden. Und das zeigt eben auch ich glaube, wenn ich an meine Praxis zurückdenke wir haben wenig über Inzest. also in meinen 30 Jahren habe ich wenig über Inzest, geschwisterbeziehungen gehört oder auch darüber gearbeitet. Wie ist das bei dir?

Johannes Heim:

Ne, begegnet mir auch nicht oft. Ich könnte aber auch vorstellen, dass das wegen ist, weil das sehr, sehr scham besetzt ist und kaum erzählt wird. Also fast eher missbrauchende Mütter habe ich öfter gehört, aber Geschwisterinz ist ganz selten, Gar nicht. Ich war lecker, gerade wirklich Konkret aus der Praxis kenne ich keinen Fall, eher aus Schule und den pädagogischen Umfeldern.

Jeannette Fischer:

Vielleicht vernachlässigen wir das aus Therapeuten ein bisschen.

Johannes Heim:

Wobei? mir fällt gerade ein. Ich hatte einen Fall, wo ich den Verdacht hatte, dass das eine Rolle spielt, aber das war nicht. Das war unmöglich zu klären.

Jeannette Fischer:

Aber es kann ja auch in zestruisen Fantasien beinhalten, oder Also, man kennt nichts in deiner Praxis von inzestruisen Fantasien.

Johannes Heim:

Wird wenig berichtet, tatsächlich Vor allem bei Jugendlichen nicht aus den Triebhabwerdern auch so hoch, was heute viel ist, also viel mehr.

Johannes Heim:

Wenn wir über die Entwicklung vielleicht von Mädchen sprechen, fällt mir dazu noch ein ist, dass die alle schon tendenziell früher und auch vermehrt sexuell aktiv sind, zwar, aber häufig eher in so einem passiven Tausch gegen Nähe. Also, die Sexualität ist bei Jugendlichen Mädchen, die in der Praxis haben, häufig ein Art Tauschgeschäft, eine so. Der Sex ist die Währung, mit der man sich wenigstens ein bisschen Spiegelung, zuneigung, nähe für einen kurzen Moment erkauft oder bezahlt. Das passt so ein bisschen. Eigentlich ist es dann sozusagen das Bedürfnis. Es ist genau wie in diesem Abschnitt von Brüderchen und Schwesterchen, und die Sexualität ist nur das Mittel, um dorthin zu kommen.

Jeannette Fischer:

Ja, das ist schön gesagt, super. Ja, ja, ich frage mich auch, wenn du das so sagst also ich bin ja in den 70er Jahren sozialisiert, auch politisch sozialisiert, mit dieser 68er Bewegung, frauenbewegung, und da gehört es ja dazu, wenigstens eine Abtreibung zu haben, dass man dazugehört, und so weiter und mit ganz vielen ich jetzt als Frau, mit ganz vielen Männern zu schlafen, das haben wir alles gemacht. Das war auch vergnüglich, nicht nur, aber auch vergnüglich. Aber ich vermute jetzt jetzt rückblickend nicht nur bei mir, glaube ich, eben dasselbe. Eigentlich war das die Währung, der Sex war die Währung, um dazu zu gehören, sich vielleicht nähe und Zuneigung zu erkaufen, wie du das gesagt hast, ohne das Geld ins Spiel kam. Aber ich glaube, das können wir nicht außerrauch lassen, und das müssen wir auch ein bisschen aufarbeiten.

Johannes Heim:

Ja, nicht nur das glaube ich, weil ich glaube, dass jetzt wir in einem Umfeld leben, wo Sex so allgegenwärtig ist und vor allem das Mögliche verwendet wird als Währung, dass ich den Eindruck habe, dass Mädchen auch viel mehr als früher unter dem quasi unter der über-Ich-Forderung der Gesellschaft stehen, möglichst triebhaft und möglichst sexuell befreit zu sein, und da wird auf Nähebedürfnisse, beziehungsbedürfnisse, bedürfnisse nach Sicherheit während der Sexualität, innerhalb der Bindung wird überhaupt keine Rücksicht genommen, und es schadert beiden Geschlechtern also, dass die Mädchen sozusagen auf diese Bedürfnisse auch nicht achten und auch sozusagen nicht ein gesellschaftliches Wertekorzet ein Stück weit auch im Rücken haben, dass ihnen sagt nee, das darf ich verlangen, das dürfen sie nämlich nicht mehr, weil sie sonst auch nicht mehr Teil der starken Frauen sind. Und ich bekomme, dass er von jungen Frauen in der Praxis dann erzählt, wie sehr sie eigentlich unter diesen Ansprüchen leiden, als hätte sich jetzt sozusagen mit der vermeintlichen sexuellen Befreiung die Gesellschaft mit den Jungs gegen die Mädchen verbündet, obwohl paradoxerweise die Jungs immer als toxisch bezeichnet werden. Also wir haben ja den Begriff der toxischen Männlichkeit, der allgegenwärtig ist, aber wir keinen entsprechenden Griff toxischer Weiblichkeit. Das finde ich auch spannend. Ja, es sind ganz viele paradoxe Entwicklungen, aber unter der Sexualisierung leiden Mädchen, denke ich, noch mal ein Stück weit mehr direkt und die Jungs indirekt, weil beide werden nicht beziehungsfähiger, beide geschlechter, und das ist, denke ich, schon ein Ergebnis und auch noch eine Auswirkung der 68er Jahre. Und Marcus und Frankfurt der Schule Ja.

Johannes Heim:

Und dass man sagt, ja, also die Sexualität ist die Befreiung, ja, das weiß ich nicht. Also, das sehe ich eigentlich im Ergebnis nicht. Und Mädchen wählen jetzt ja auch häufiger sozusagen den Weg zu sagen erst mal ja, wenn die 13 werden, definieren sie sich vorwiegend mittlerweile oder schneller mal als entweder lesbisch oder asexuell oder oder sonstwas und vermeiden damit auch, dass Jungs ihnen sich überhaupt annähern. Das meine Deutung. Jetzt, das würden viele abstreiten, ich glaube das aber schon aus dem, was ich so an Gesprächen gehört habe.

Jeannette Fischer:

Also dass sich damit einen schonen Rahmen geben. Verstehe ich das richtig?

Johannes Heim:

Ja, es ist Triebabwehr, aber auch die Abwehr sozusagen der Penetration könnte man sagen, ja, ein Stück weit. Dann darf man sich dem entziehen, und ich sage mal, die Liebesbeziehungen auf andere Mädchen zu richten, erst mal verschafft auch eine größere Sicherheit. Aber es ist häufig eine Definitionssache vom Kopf her. Man sucht sich die Identität raus, dass es kein Mädchen öffentlich zu und auch kein Junge gibt, dass man sich heute die Identität wählt und noch gar nicht weiß, was man eigentlich wirklich bevorzugt. Aber im Therapieraum ist man es oft. Vertrauen da, wo das dann gesagt wird, dass es auch ganz schön einschränkend ist, wenn die Erwartung von jemandem ist oder einen eingerichtet wird, sich eine bestimmte Identität jetzt rauszusuchen.

Johannes Heim:

Also, du musst dich jetzt definieren. Ja, bist du keine Ahnung? ziehst hetero, sexuell? bist du L, bist du B, bist du G oder T oder sonst was? Ja, das ist auch eine Anforderung, die entstanden ist durch diese vermehrte Politisierung das Ganze, durch den Aktivismus aus meiner Sicht zumindest und durch die Daueröffentlichkeit, die das Ganze hat. Also ja, jugendliche, vor allem Jungs und Mädchen, die sind ja sozusagen, sobald sie sich mit Geschlechterfragen, mit der Anziehung an andere Menschen, mit Triebhaftigkeit begehren, sexualität beschäftigen, sind ja sofort in einem politisierten Raum. Das ist auch etwas, was anders ist, selbst als zu meiner Jugendzeit, ja in den 90ern, da war das zwar auch allgegenwärtig, aber nicht so. Also, heute ist es politisiert.

Jeannette Fischer:

Ja, finde ich spannend, finde ich spannend, das leuchtet mir sehr ein. Und gleichzeitig wird Sexualität auch zu einem Dauerpotent sein erhoben, und zwar auf beiden Seiten, oder früher war das ein bisschen abgeschwächter oder nur auf Männerseite, jetzt muss die Dauerpotenz als Leistungsfaktor gilt für beide Geschlechter, und es geht auch von der Frau her. Also, die in diesen Diskurs einsteigt, sie fordert auch die Penetration ein. Es ist ein Ergebnis, das sich aus einem Spiel ergibt, sondern es ist eine Einforderung der männlichen Potenz oder der Interhettrosexualität. Und dieses Dauerpotent sein, das ist ja auch wie eine Form der Selbstoptimierung. Also das geht gar nicht.

Johannes Heim:

Ja, der Unterschied wird verwischt, jeder muss gleich sein. Das ist eine Kollektivierung der Sexualität, weil wenn alle alles gleiche machen müssen, selbst wenn das die Vielfalt ist, dann ist die Vielfalt das Gleiche. Also, jeder muss genauso vielfältig sein, dann bist du halt nicht vielfältig genug. Ist doch genauso, wie wenn alle sagen, du musst es so machen, und dann weichst du davon ab. Also, das ist genauso normativ wie früher, letzten Endes In gewisser Weise vielleicht sogar noch also in die Anforderungen noch höher, weil du kannst nicht sagen okay, ich bin entweder so, oder interessiert es keinen, oder ich weiche, aber eigentlich ist es sowieso meine Privatsache, geht keinem was an, sondern jetzt sind sozusagen es ist wie im panoptischen Gefängnis, ja, überall kann jeder jetzt reingucken, am besten muss es noch posten, weil sonst weiß keiner. Ja, das befreit, du bist sexuell. Also diese, dieser Druck und diese Anforderungen, die sind viel höher, habe ich den Eindruck, als vor 20, 30 Jahren.

Jeannette Fischer:

Ja, denke ich auch, denke ich auch.

Johannes Heim:

Und von daher kann ich mir schon erklären, warum, in warum sozusagen der Anteil derjenigen jungen Menschen, jugendlichen und junger Erwachsene, die sich als asexuell definieren, in bestimmten Ländern, vor allem auch das Westens, warum der drastisch ansteigt von Studie zu Studie.

Jeannette Fischer:

Einfach, um sich in diesen Schonraum begeben zu können, oder Ja, jetzt kann man sagen ich bin asexuell. Ich bin asexuell.

Johannes Heim:

Lass mich in Ruhe mit dem Zeug. Ich will davon gar nichts mehr wissen.

Jeannette Fischer:

Ja, ja, das ist natürlich letztendlich auch nicht die Lösung, weil Kraftigkeit bleibt bestehen, aber ich verstehe das aus einem momentanen Rückzug in einen Schonraum, oder? Ja, das finde ich sehr gut. Ja, ja, ja, also sollen wir noch weiterlesen.

Johannes Heim:

Ja, natürlich.

Jeannette Fischer:

Liest du weiter.

Johannes Heim:

Ja, das dauerte eine Zeit lang, dass sie so allein in der Wildnis waren. Es trug sich aber zu, dass der König des Landes eine große Jagd in dem Wald hielt. Da schalte das Hörner, blasen Hundegebell und das lustige Geschrei der Jäger durch die Bäume, und das Rhelein hörte es und wäre gar zu gerne dabei gewesen. Ach, sprach es zu dem Schwesterlein, lass mich hinaus in die Jagd. Ich kann es nicht länger mehr aushalten und bad so lange, bis es einwilligte. Aber sprach es zu ihm komm mir ja abends wieder. Vor den wilden Jägern schließe ich mein Türlein, und damit ich dich kenne, so klopft und sprich mein Schwesterlein, lass mich herein, und wenn du nicht so sprichst, so schließe ich mein Türlein nicht auf. Nun sprang das Rhechen hinaus und war ihm sowohl und war so lustig in freier Luft.

Johannes Heim:

Der König und seine Jäger sahen das schöne Tier und setzten ihm nach, aber sie konnten es nicht einholen, und wenn sie meinten, sie hätten es gewiss da, sprang es über das Gebüsch weg und war verschwunden. Als es dunkel war, lief es zu dem Häuschen, klopfte und sprach mein Schwesterchen, lass mich herein. Da warte ihm die kleine Tür aufgetan. Es sprang hinein und ruhte sich die ganze Nacht auf seinem weichen Lager aus. Am andern Morgen ging die Jagd von Neumann. Und als das Rhelein das Hifthorn hörte und das Hoho der Jäger, da hatte es keine Ruhe und sprach Schwesterchen, mach mir auf, ich muss hinaus.

Johannes Heim:

Das Schwesterchen öffnete ihm die Tür und sprach, aber zum Abend musste wieder da sein und mein Sprüchlein sagen. Als der König und seine Jäger das Rhelein mit dem goldenen Halsband wieder sahen, jagten sie ihm alle nach, aber es war ihnen zu schnell und behänd Das werte den ganzen Tag. Endlich aber hatten es Jäger abends umzingelt, und einer verwundete es ein wenig am Fuß, sodass es hinken musste und langsam fort lief. Da schlich ihm ein Jäger nach bis zu dem Häuschen und hörte, wie es rief, mein Schwesterlein, lass mich herein. Und sah, dass die Tür ihm aufgetan und als bald wieder zugeschlossen war. Der Jäger behielt das alles wohl im Sinn, ging zum König und erzählte ihm, was er gesehen und gehört hatte. Da sprach der König morgen soll noch einmal gejagt werden.

Jeannette Fischer:

Was ich hier am Ganzen nicht verstehe, das musst du mir vielleicht erklären. Man geht ja auf die Jagd, um Rehe zu schießen, oder sehe ich das falsch? Also, warum ist dieses Rehe so scharf darauf, geschossen zu werden?

Johannes Heim:

Ist es. Ich könnte mir vorstellen, dass es scharf darauf ist, an der Jagd teilzunehmen und zu überleben.

Jeannette Fischer:

Ach so.

Johannes Heim:

Ich setze mich ja also so ein bisschen kontraphobisch könnten wir vielleicht sagen ja, extrem Sport. Also andere Männer gehen vielleicht oder auch Mädchen gehen, bungeejumping machen oder Para Gliding oder was auch immer, oder mit diesen Eichhörnchenanzügen quasi durchs Gebirge fliegen, und das Rehlein geht auf die Jagd als Rehe. Ich verstehe es ein bisschen so vom Gefühl her so komme, was wolle, ich nehme mit allen Risiken am Leben teil. Das ist bei mir nicht kaputt gegangen, während beim Schwesterchen das sagt, nee, ich mache alles zu, ich verschließ mich vor allem, was das Leben so mitbringt. Das sind schon zwei unterschiedliche Positionen. Das Rehe sagt ich mache mit, ganz egal, ob ich dabei drauf gehe oder nicht.

Jeannette Fischer:

Also dann könnte man das so ist. Ich habe das eben nicht verstanden. Wenn das so ist, könnten wir ja sagen es hat jetzt, das die Triebhaftigkeit nicht gelebt werden kann, pervertieren diese in eine Selbstdestruktion.

Johannes Heim:

Ja, das ist eine Möglichkeit.

Jeannette Fischer:

Also hier wird in diesem Punkt quasi die Triebhaftigkeit, wenn ich jetzt wieder dabei bleiben will bei meiner Theorie, wird selbstdestruktiv. Also es erinnert mich ein bisschen.

Johannes Heim:

Ja, aber nur aus der Perspektive des Sicherheitsbedürfnisses raus. Ich werde les gerade Ja, vielleicht ist auch die nazistische Seite im Vordergrund, die grandiose Seite, die sagt und ich mache damit, und ihr könnt mich alle, ihr werdet mich nie fangen. Und diese Beweglichkeit und Dynamik erinnert mich an durchaus nazistische Menschen, die immer auf, aber in erster Stelle immer leistungsfähig, ganz oben mit dabei, und so weiter, und dann kommt, sobald die Wunde dann kommen, so wie bei dem Rehe, dann kommt die Dekompensation. Erst dann kommen sie ja in die Behandlung, in der Regel als erwachsene nazistische Menschen, wenn diese Leistungsfähigkeit, vorne weg zu sein, und ja, und die ganze, der ganze Pulk hinter mir her, aber ich bin erst, und mich kriegt keiner, keiner holt mich ein, dieses Gefühl habe ich ein bisschen dabei.

Jeannette Fischer:

Aha, ja, ja, ja, Ich habe ein Garn. Ja, doch, ich kann das nachvollziehen. Es hat ein bisschen etwas wie mit dem Wasser zu tun. Er sagt ja auch beim dritten Brunnen also, aber jetzt muss ich trinken, passiere, was also komme, was wolle, und auch hier, oder Also ist das selbe. Er geht eigentlich wieder in diese Destruktion rein. Die Möglichkeit, getötet zu werden, ist hier groß. Also, warum macht er das? Er macht ihr das nur. Nein, ich weiß es nicht. Warum macht er das?

Johannes Heim:

Weil er muss. Der Herr hat noch den Trieb, am Leben teilzunehmen, komme was wolle. Das ist die progressive Seite. Warum gehen Kinder auf zwei Beine? Weil sie doch wissen, dass sie auf die Schnauze fallen, permanent, dauernd Aua, aua. Das Geschrei ist groß, und trotzdem stehen sie wieder auf Und Toben beim nächsten Mal wieder auf dem Bett, fallen rund da und sich den Kopf an, und so weiter.

Jeannette Fischer:

Ja, gut, aber hier ist es tödlich.

Johannes Heim:

Aber er ist Teil der Jagd.

Jeannette Fischer:

Zu.

Johannes Heim:

Jagd gehört das Reder zu. Das ist vielleicht auch ein bisschen eine Projektion oder so eine Projektividentifizierung. Sogar So selber bei sich selbst ist die Aggressionshemmung, aber die Anziehung der Aggression, der Gewalt ist besonders groß. Jetzt denke ich gerade so auf der pathologischen Seite so ein bisschen auch an meinen Jugendalter, wo wir immer gesagt haben, der und der, der zieht aber auch die Brügelai an, der ist selber so aggressionsgehämt, das ist ein Stressmagnet, der geht in die Stadt und wird sofort angesprochen von irgendjemand, der wird Opfer, aber hat irgendwo unbewusst wahrscheinlich auch Musser. Ja, weil so Aggressionshemmung heißt. Ich verdräng alle aggressiven Impulse, also kann ich bewusst nicht darauf reagieren. Also ist die Anziehung der Aggressionen dieses ungelebten Lebens unbewusst. Das könnte ich mir auch vorstellen. Ja, also sozusagen, die Aggression ist ganz da draußen bei den Jägern.

Jeannette Fischer:

Ja, das Schwesterchen sagt auch lass mich herein. Sie gibt, sie sagt, was er zu tun hat. So klopf und sprich mein Schwesterlein, lass mich herein, und wenn du nicht so sprichst, so schließe ich mein Türlein nicht auf. Also das sind ja jetzt ganz incestuouse Fantasien da drin. Ich gebe Ihnen davon aus, dass er sich versucht, aus diesem geschwisterlichen Inzest zu befreien, ja, komme was wolle, oder Aber sie bindet ihn zurück. Also ich gehe letztendlich immer davon aus, wenn die Triebhaftigkeit auf diesen Widerstand stößt, also wie das Schwesterchen jetzt, sie bietet ja den Widerstand dass er dann nur noch destruktiv verwirklicht werden kann, also dass er getötet werden könnte. Einen Zusammenhang hat mit diesem Schwesterchen, das ihn eigentlich ja zu Hause behalten will. Sie sagt ja eigentlich, wenn du rausgehst, wirst du getötet, und das stimmt ja auch jetzt in dieser Geschichte. Aber diese Geschichte ist eine Geschichte, oder?

Jeannette Fischer:

Sie bildet ja eigentlich auch ein gesellschaftliches Narrativ ab. Also am besten ist es, zu Hause zu bleiben, nicht rauszugehen. Es erinnert mich an eine ganz frühe Performance von Marina Abramowicz, dass sie war 24-jährig, sie wurde zu Hause, also sie hat bis 29, glaube ich, bei der Mutter gewohnt. Sie wurde da ganz festgehalten. Mit 24 hat sie die Kunsthochschule gemacht und hat dann eine Performance einer Galerie, ein Performanceprojekt eingeschickt, und das ging so. Also die Performance wurde nicht durchgeführt, die ist antitelt. Und das ging so, dass sie auf der Bühne war, und auf der linken Seite war ein Kleiderständer mit Kleidern, die ihre Mutter wünschte, dass sie sie trägt. Und dann hat sie.

Jeannette Fischer:

Die Performance ging so, dass sie langsam die Kleider ausgetauscht hat, und am Schluss war sie in den Kleidern, die ihre Mutter für sie gewünscht hat, dass sie sie trägt. Dann nimmt sie aus der linken Manteltasche eine Pistole, aus der rechten Manteltasche eine Kugel, sie lädt die Pistole, hält sie sich an die Schläfen und drückt ab. Sie sagt am Schluss der letzte Satz dieses Projektbeschriebenes ist diese Performance hat zwei Ausgänge. Also die Performance wurde nicht zugelassen. Also bis heute hat sie sie nicht gemacht, und das meine ich auch, oder Also wie wenn die Autonomie, die eigenen Kleider tragen zu dürfen und zu können, damit ein Herr geht Also, wenn das nicht möglich ist, dann erschießt sie sich lieber.

Johannes Heim:

Ja, erschießt sich oder hat einen Unfall, oder das haben wir bei Jugendlichen. Das sieht dann teilweise aus dem Nichts heraus, keine Ahnung, von einer Mauer fallen oder irgendwo aus dem Fenster ohne Motivation, ohne dass sie suizidal sind oder so. Das ist vielleicht wirklich Autonomie, oder Tod Ist ein Stück weit vielleicht auch das unbewusste Entwicklungsmoment von Jugendlichen, in gewisser Weise. Aber innere Autonomie also, die können so weit wegziehen, wie sie wollen, die können zu Brünnlein gehen, wie sie wollen. Wenn diese innere Ablösungen und Entwicklungen noch nicht mal denkbar ist, ich glaube, dann ist die tödliche Gefahr für Unfallneigung und so, dann ist die tatsächlich gegeben, oder durch Suizid, depression, alles Mögliche.

Jeannette Fischer:

Wenn Bindung nur noch möglich ist, über Angleichung zu binden. Der subjekt Unterwerfung. Also, sie trägt die Kleider, die ihre Mutter für sie ausgesucht hat.

Johannes Heim:

Also wenn man nicht in die Differenz darf, um bei deinen Begriffen zu bleiben, dann finde ich immer noch sehr, sehr gut die Anerkennung der Differenz oder die Auslöschung der Differenz. Wenn das nicht möglich ist, dann wird es wirklich eng, und das braucht dieses Reh, nochmal zum Jungen zu kommen, der braucht diese Wunde, der muss sich diese Wunde holen, damit er überhaupt zur Ruhe kommt, ein Stück weit, und in die Entwicklung darf.

Jeannette Fischer:

Also, meinst du diese letzten Sequenz, die du gelesen haben?

Johannes Heim:

Ja Das ist, das erinnert mich wirklich so wichtig, vorhin auch auch so ein bisschen gesagt, ich erinnere das sehr an wann kommen nazistische Patienten in?

Jeannette Fischer:

die.

Johannes Heim:

Praxis, wenn sie dekompensieren, also wenn das Reh nicht mehr so schnell rennen kann, dass es allen davon läuft, wenn es hinkt. Ja, gut, wenn sie dekompensiert sind, wenn sie das nicht mehr merken. Sie können das nicht mehr.

Jeannette Fischer:

Und hier dann kommen sie in die Therapie. Da hast du Recht, das sehe ich auch so. Und hier gehen sie zum Schwesterchen, und das Schwesterchen das pflegt an dieses Rehchen wieder, damit das wieder da nazistisch rausspringen kann, oder Also, es ist quasi das Bando zu diesem Narzissmus.

Johannes Heim:

Ja, und wenn sie eine kollosive Beziehung haben in der nazistischen Kollusion, dann sozusagen, dann ist zu Hause das Mütterchen, das sie pflegt, und dann können sie wieder grandios vor die Tür.

Jeannette Fischer:

Ja, ja, Das sagt auch, um Virginia Wolf zu zitieren in ihrem Buch Ein Zimmer für sich allein die Frau sitzt am Frühstückstisch, und der Mann kann nur hinausgehen und die Welt erobern, weil er die Frau klein zurückgezogen am Frühstückstisch zurücklässt. Also es braucht diese beiden, um diese Struktur weiterzutratieren, um überhaupt zu. die beiden bedeutet das Leben, Und die machen auch Kinder. so, die können so auch Kinder machen. Aber sie ist sehr schön, wie inzestuös das eigentlich bleibt.

Johannes Heim:

Ja, also in den Märchen auf jeden Fall auch.

Jeannette Fischer:

Ja, unglaublich.

Johannes Heim:

Das fällt mir jetzt erst so richtig auf, wie viel da auch drin steckt. Liebe Janett, wir sprechen schon über eine Stunde. Das Märchen ist sehr lang. Ich würde vorschlagen, liebe Zuhörerinnen, liebe Zuhörer, dass wir an dieser Stelle eine Pause machen und das in einer zweiten Folge zu Ende besprechen. Sonst werden diese Folgen einfach viel zu lang. Ja, das finde ich eine gute.

Jeannette Fischer:

Idee.

Johannes Heim:

Also, dann sage ich schon mal quasi kurze Unterbrechung, ja in gewisser Weise, und bis zum nächsten Mal.

Jeannette Fischer:

Danke, Johannes. Danke für das sehr anregende Gespräch.

Johannes Heim:

Ja, ich danke dir.